Willkommen in Kerstins Kartenwerkstatt. Hier dreht sich diese Woche alles um Fantasy. Heute darf ich dir zusammen mit Diana und Isabel den Autor Wolfgang Thon vorstellen.
Kerstin: Lieber Wolfgang, würdest du dich unseren Lesern bitte kurz vorstellen? Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Ja gern, moin, liebe Kerstin, liebe LeserInnen. Ich heiße Wolfgang Thon, lebe als gebürtiger Niederrheiner schon seit mehr als vierzig Jahren in Hamburg, der Relegationsstadt, bin 62 und schreibe schon seit meiner Schulzeit (Schülerzeitung, dann unter etlichen Pseudonymen Liebesromane- hach, hat wirklich Spaß gemacht, in Stereotypen zu wühlen – und ist keineswegs so einfach zu schreiben, wie es sich vielleicht liest. Als AutorIn musst du deine Figuren lieben und/oder respektieren, ganz gleich, ob Du einen „Nackenbeißer“, einen Krimi, Fantasy, Historie oder Literatur schreibst). Zu meinem Glück bin ich durch meine Übersetzungen schließlich zur Fantasy und von dort auch zum vorliegenden, historischen Roman gekommen.
Kerstin: Hast du einen bestimmten Platz zum Schreiben? Magst du mir ein Bild davon zeigen?
Na klar, mache ich gern. Ich arbeite in meinem Telefon-, Klingel- und Besuchsfreien Gartenhäuschen, (meist unter Aufsicht meines Katers Mikka), und hier kommt das Foto: (passend zur Jahreszeit)
(Quelle: Wolfgang Thon)
Ich hoffe, Du kannst etwas erkennen. (PS: Ich habe mir klugerweise eine Fußbodenheizung reinlegen lassen – also es ist ganz gemütlich da drin. Was wohl auch erklärt, warum Mikka so gern da bei mir ist)
Isabel: Dein neuer Roman „Blutiges Land“ spielt zur Zeit des 30-jährigen Krieges. Woher kam deine Inspiration zu dieser Geschichte? Warum hast du dich für genau diese Zeit entschieden?
Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen inszeniert, ist aber wirklich die Wahrheit: das Thema dreißigjähriger Krieg beschäftigt mich schon seit meiner Jugendzeit. Ich habe als Jugendlicher noch in Mönchengladbach (wo ich im vorigen Jahrtausend geboren wurde) das Buch „Das Findelkind von Gladbach“ gelesen. Das handelt in dieser Zeit, hat mich sehr beschäftigt und meine Fantasie angeheizt. Zudem kam durch die vielen Übersetzungen von Fantasy-Literatur, die sich ja häufig der Atmosphäre und den Strukturen mittelalterlicher bzw. historischer Welten bedient, eine Vorliebe für diese weitgehend technikfreie aber dafür mystische Zeiten. Hinzu kamen dann noch die Bücher von Dumas, Die drei Musketiere, mit Richelieu, die ebenfalls exakt im dreißigjährigen Krieg spielen, und mit Richelieu auch einen historisch sehr einflussreichen Vertreter haben, der in meinem Roman ebenfalls eine Rolle spielt. Als ich mich dann mit der Geschichte der Sepharden (der portugiesischen und spanischen Juden) in dieser Zeit dort beschäftigte, war ich von den politischen Verwicklungen dieser Zeit, die Religion als Vorwand nahmen, um Machtpolitik zu betreiben, sehr fasziniert. Gerade im Vergleich zu heute, wo das ja ein sehr aktuelles Thema ist.
Diana: Woher nimmst du die Inspiration für deine Plots und Charaktere? Ist in ihnen manchmal auch ein Wesenszug von dir oder deinen Angehörigen/Freunden/Bekannten vorhanden?
Natürlich hilft mir sehr, dass ich als Übersetzer sehr viel Fantasy-Autoren übersetze. Das mache ich nicht nur, weil ich Geld verdienen will, sondern auch weil ich es wirklich liebe. Und wenn ich mit einem solchen Blick durch die Welt gehe, dann springen mir Inspirationen immer wieder ins Auge, ganz gleich, ob es eine Übersetzung ist, ein Buch, oder auch ein Film (der gar nicht unbedingt „fantastisch“ sein muss, sondern vielleicht nur eine Idee hat, die sich bei mir einnistet, oder ein Charakter, der mir gefällt. Die verändern sich dann natürlich in meinen Geschichten, sodass ich wirklich von Inspiration sprechen darf, nicht von geistigem Diebstahl ;-) Bei meiner Fantasy-Trilogie „Die drei Prophezeiungen“ fand ich natürlich in den großen Fantasie- Zyklen wie z.B. George R.R. Martins „Game of Thrones“, bei Joe Abercrombie „Klingen-Zyklus“ oder auch bei John Gwynnes Zyklus „The Faithful andThe Fallen“, den ich gerade übersetze, reichlich Ideen. Aber der Auslöser für die drei Bände „Lied der Dämonen“, „Schwert der Drachen“ und „Saat der Götter“ war die Lektüre eines Buchs von Andreas Gössling – „Drachenwelten“, in dem er augenzwinkernd die Rolle des Krieges zwischen Drachen und Göttern in allen Weltreligionen untersucht. Das brachte mich zu der Frage, was eigentlich passiert, wenn dieser Kampf zwischen Göttern und Drachen ewig ist und auf einer Welt eskaliert, in der es Menschen gibt, die zwischen die Fronten geraten. Und wie sich dieser Kampf darstellen lässt, wenn man ihn nur durch die Blicke, die Wahrnehmung und den Glauben der Leidtragenden mit ihrer durch ihre menschlichen Wahrnehmungsapparate begrenzten Wahrnehmungsfähigkeit von göttlichen oder natürlichen Prinzipien schildert. Ich wollte gerne darauf verzichten, Götter durch meinen Roman schlendern zu lassen bzw. sprechende Drachen zu bemühen, um sich zu erklären.
Und erst neulich hat mir eine Freundin nach der Lektüre der Trilogie erzählt, dass sie in den Hauptfiguren auch Eigenschaften von mir wahrnimmt. Das hat mich gefreut, und ich glaube auch dass das stimmt. Selbst wenn ich diese Eigenschaften nicht von vornherein bewusst verteilt habe, aber jeder der Charaktere hat auch etwas von mir, und es sind nicht immer die guten Eigenschaften, wie ich zugeben muss. Und ganz sicher finden sich in ihnen sowie in allen Figuren auch Wesenszüge oder Eigenschaften von Menschen, die ich kenne, oder zum Beispiel in Filmen gesehen habe. Bei anderen Charakteren war es einfach nur die Freude an einem Wortspiel – zum Beispiel ist der Anführer der Auguren, der Erste Fragende in „Lied der Dämonen“, ein Blinder Seher. Das ist nicht gerade originell, denn eine solche Figur taucht in sehr vielen Fantasy Roman auf, aber ich fand die Idee trotzdem so schön, dass ich mich ihrer ebenfalls bedient habe. Oder zum Beispiel hat mich das Prinzip eines Orakels, wie in Delphi, und Douglas Adams‘ allumfassende Antwort „42“ in „Per Anhalter durch die Galaxis“ auf die Idee gebracht, die Auguren als Fragende zu schildern, die von den Göttern Antworten bekommen, auf die sie dann die richtigen Fragen finden müssen.
Bei dem vorliegenden Buch „Blutiges Land“ war das ein wenig heikler, weil ich hier darauf achten musste, meine Figuren in einem vorgegebenen Setting, das konkrete soziale, religiöse und technische Vorgaben macht, überzeugend und glaubwürdig darzustellen. Das war ein anderes Schreiben, als das bei der Fantasy, wo ich weit größere Freiheiten hatte, obwohl auch hier Glaubwürdigkeit der Personen oberste Priorität haben. Das ist etwas, was ich bei meinen Übersetzungen von den amerikanischen und englischen Autoren gelernt habe. Wenn die Charaktere stimmen, dann darf der Plot ruhig haarsträubend unrealistisch sein. Umgekehrt funktioniert das nicht, glaube ich.
Isabel: Für einen historischen Roman braucht es ja viel Recherchearbeit. Wie handhabst du das? Recherchierst du alles vor dem eigentlichen Schreiben oder nebenbei? Wie stark hältst du dich an die historischen Vorgaben?
Oh ja, das stimmt. Wenn ich die Zeit zusammenrechne, die ich mich mit der Idee, ein Roman über den dreißigjährigen Krieg zu schreiben, beschäftigt habe, komme ich sicherlich auf gut zwölf Jahre. In der Zeit war die Idee mal mehr oder weniger präsent, aber ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich viel darüber gelesen (recherchiert) habe. Das habe ich ja schon oben geschildert. Das schwierigste bei historischen Roman finde ich die Glaubwürdigkeit der Charaktere zu behalten. Ich meine damit nicht nur, was sie anhaben, wovon und wie sie essen, was sie essen, welche Geräte sie zur Verfügung haben, wie soziale und gesellschaftliche Strukturen organisiert sind, denn das alles schreibt vor, finde ich, wie die Geschichte ablaufen muss. Das schwierigste ist meiner Meinung nach, die Gedankenwelten dieser Personen überzeugen zu schildern und darauf zu achten, keine zu moderne Begriffe oder Wahrnehmungen zu verwenden. Dabei habe ich mich bei „Blutiges Land“ natürlich von Grimmelshausen „Simplicissimus“, von P.O.Enquists „Der Besuch des Leibarztes“ und Montaignes „Essais“ inspirieren lassen. In letzteren habe ich viele Gedanken über Religion und Glauben gefunden, die man 1630 in dieser durch Glaubensstreitereien aufgeheizten Zeit sicher viel zu modernistisch empfunden hätte, obwohl Montaigne seine Essais schon mehr als fünfzig Jahre früher geschrieben hat.
Und ich recherchiere die historischen Fakten und viele Begriffe vorher, weil sich meine Geschichte ja in diese Historie einpassen muss. Aber auch während des Schreibens geht die Recherche weiter, weil meine Charaktere oft in Situationen und an historische Orte geraten, über die ich dann noch nicht genug weiß, sodass ich mich weiter informieren muss. Das können übrigens auch ganz banale Situationen sein, wie zum Beispiel ein gemeinsames Dinner. Gab es 1631 bereits Gabeln bei Tisch, wenn ja, wie verbreitet waren sie, und wenn nein, wie haben sich die Speisenden beholfen? Das heißt, die Recherche hört nie auf, und ich habe zum Beispiel beim Schreiben von „Blutiges Land“ sehr viel über den Dreißigjährigen Krieg gelernt, z.B. über die Figur Wallensteins, der früher häufig als sternengläubiger Zauderer dargestellt wurde. Und über den Blickwinkel meiner Charaktere, die mit Wallenstein in Berührung kommen, konnte ich zum Beispiel neuere Sichtweisen sowohl auf den Krieg als auch auf diese historische Figur darstellen, ohne als allwissenden Autor zu zeigen und mich als Historiker oder Oberlehrer aufzuspielen.
Und das Reizvolle bei „Blutiges Land“ war für mich gerade der Wunsch, mich an die historischen Vorgaben halten zu wollen. Deshalb ist es ein historischer Roman geworden, und kein Fantasy- Roman. Aber trotzdem hat es etwas „fantastisches“, (so ein bisschen wie bei Forrest Gump), erfundene Charaktere in dieses Zahnrad der Geschichte einzubetten, und sie an historische Ereignisse teilnehmen zu lassen, und nicht nur das, sie auch in gewissem Maße auslösen oder beeinflussen zu lassen. Das geht ganz gut, weil geschichtliche Ereignisse auch des Dreißigjährigen Krieges eben das sind, Schilderungen, die auf zeitgenössische Quellen zurückgehen. Ich finde deshalb die Geschichtsschreibung abstrakt genug, dass sie mir in den konkreten geschichtlichen Situationen genügend Raum lässt, um meine Charaktere dort „hineinzuschummeln“. Sie dürfen diese geschichtlichen Situationen im Hintergrund auch auslösen oder manchmal manipulieren, aber sie dürfen, jedenfalls für die Art, wie ich historische Romane schreiben möchte, den Lauf der Geschichte nicht verändern.
Diana: Träumst du manchmal von einem Handlungsstrang und wachst dann auf, nur um sofort nach Papier und Stift zu greifen und alles aufzuschreiben?
Ja, das passiert ab und zu. Wenn ich aufwache, und mich nur daran erinnere, greife ich allerdings nicht zu Papier und Stift, sondern zu meinem Diktiergerät, dass immer auf meinem Nachttisch liegt, und ohne das ich nicht mal hinausgehe, um den Müll wegzubringen. Das Diktiergerät erklärt sich vielleicht auch daraus, dass ich meine Texte mit einem Sprachprogramm in Word Dateien hinein diktiere – was übrigens manchmal zu wunderbar dadaistischen Formulierungen führt, vor allem, wenn ich müde wäre und undeutlicher rede.
Isabel: Deine Broll-Trilogie ist ein Fantasy-Roman. Warum nun ein historischer Roman?
Ich habe viel Fantasy übersetzt und die Trilogie mit sehr viel Freude geschrieben. Dabei bin ich eben auf die Verschränkung zwischen historischen Settings und Fantasy-Welten gestoßen. Auch in meiner Trilogie finden wir uns in einer quasi mittelalterlichen Welt. Die Auflösung des Rätsels, was es mit diesem Kampf zwischen Dämonen, Drachen und Göttern auf dem Rücken der Menschen auf sich hat, ist bei mir vielleicht gar nicht so „fantastisch“, sondern eher natürlich und geprägt von den begrenzten Wahrnehmungsfähigkeiten der Menschen auf dieser Welt. Das hat mich bestärkt, diese Idee von einer Geschichte über den Dreißigjährigen Krieg, die ich schon so lange mit mir herumgetragen habe, mit einer ähnlichen Haltung aufzuschreiben wie bei meiner Fantasytrilogie. Nämlich ein vorhandenes und unübersichtliches Setting (in der Trilogie sind es die Prophezeiungen und die Rolle der Auserwählten, die Träger des Males und in „Blutiges Land“ ist es der Moloch eines vollkommen unübersichtlichen Krieges, in den drei „Auserwählte“ geraten, und die Rolle, die sie dort spielen, und wie sie diesen Krieg beeinflussen – und er sie).
Selbstverständlich sind Fantasie und Historie zwei verschiedene literarische Gattungen, aber trotzdem, für mich gibt es da eine natürliche Beziehung, und, ohne jetzt esoterisch werden zu wollen, irgendwie habe ich das beim Schreiben auch so empfunden. Das „fantastische“ an „Blutiges Land“ sind vielleicht diese erfundenen Charaktere, die in das Räderwerk des Krieges geraten (ich denke da gerne noch mal an z.B. „Forrest Gump“), und durch die ich diese Historie schildern konnte. Und für mich hat auch meine Art von Fantasy eine historische Dimension, nämlich die der Welt, die ich da gerade schildere, und die auch irgendwie etwas mit unserer Welt zu tun haben soll. Zum Beispiel der Kampf zwischen Drachen und Göttern, der in unseren großen Weltreligionen eine Rolle spielt, die Rolle der Menschen, die versuchen müssen, ohne wirklich zu verstehen, was da um sie herum an Mystik wirkt, zu überleben.
Ich würde liebend gerne eine zweite Fantasy-Trilogie schreiben, und noch einmal über dieses Thema des Kampfes zwischen Göttern und Drachen, den Symbolen für zum Beispiel auch „ÜberIch und Unterbewusstsein“ , aber diesmal zehntausend Jahre in der Zukunft. In einer Welt, die sich aus dieser Welt von Broll und Lay und Jolah entwickelt hat. Und die erneut vor dem „Zeitpunkt der Verschmelzung“ steht, der droht, diese Welt zu vernichten. Aber ob so etwas eine Chance hat, entscheidet letztendlich ihr, die Leserinnen und Leser. Schreiben ist ja kein Selbstzweck, sondern ich will euch unterhalten. Wenn mir das nicht gelingt, zeigt sich das an den Verkaufszahlen, und das ist das klarste LeserInnen-Votum, das sich AutorInnen wünschen können.
Diana: Dein Laptop stürzt ab und die Arbeit von mehreren Wochen geht verloren. Was tust du?
Ich fluche wie ein Rohrspatz, rufe meinen Computerguru an, bitte ihn, nein, flehe ihn an, seine heilenden Hände zu reiben, sie auf meinen Laptop aufzulegen und so meine Festplatte zu reparieren, nehme dann einen meiner anderen Laptops (insgesamt gibt es drei sowie einen Desktop und ein Tablet – nur weil ich paranoid bin heißt das noch lange nicht, dass Microsofts Fehler mich nicht verfolgen! – lade dann die letzte Version des jeweiligen Textes vom Tag zuvor von meiner externen Netzwerkfestplatte herunter, trinke mindestens drei Café Americanos, atme ein paar Mal tief durch und freue mich, dass ich auf meine Paranoia gehört habe, und Computern nicht traue.
Du kannst dir sicher denken, liebe Diana, dass sich dieses Misstrauen der Technik gegenüber auf schlechte Erfahrung gründet. Das tut es. Ich habe einmal die Arbeit von drei Tagen verloren, weil ich zu faul war, abends eine Sicherungskopie zu machen. Zum Glück war es eine Übersetzung, kein eigener Text, aber es war mir eine Lehre. Das Abspeichern meiner Arbeit auf meine externe Netzwerkplatte ist ebenso obligatorisch wie die nachmittägliche Kontrolle(kurz vor Ladenschluss), ob noch genug Espressobohnen im Haus sind. Ohne beides erledigt zu haben, komme ich nicht in den Schlaf.
Kerstin: Welches Buch liegt aktuell auf deinem Nachttisch?
„Drei Sonnen“ von Cixin Liu und „Die Verwüstung Deutschlands“ von Peter Englund
Kerstin: Vielen Dank lieber Wolfgang für das ausführliche Interview. Dein Buch aktuelles Buch habe ich inzwischen gelesen. Es hat mir gut gefallen. Ohne die Fantasy Woche hätte ich vermutlich nicht mal ein Auge drauf geworfen.
4 Gedanken zu “Fantasywoche – Interview mit Wolfgang Thon”